Die Rolle des Beirats ändert sich gerade grundlegend
Unternehmen, Unternehmensführung und deren Aufsichts- und Beiratsgremien mussten sich schon immer neuen Herausforderungen stellen. Die aktuell herrschende Gleichzeitigkeit extrem fordernder Themen stellt jedoch eine besonders ausgeprägte Häufung dar: Der explodierende Fachkräftemangel, rasante Fortschritte bei der Anwendung künstlicher Intelligenz sowie die Energietransition verursachen tiefgreifende strukturelle Umbrüche. — Hinzu kommen die unmittelbaren Auswirkungen geopolitischer Krisen: Sei es der Zugang zu kritischen Rohstoffen oder die Verfügbarkeit von sicheren Transportwegen, der veränderte Zugang zu Märkten durch Zölle und Embargos, die plötzlich fehlende Verfügbarkeit von LKW-Fahrern infolge des Ukraine-Kriegs oder die zuletzt nahezu explodierenden Schäden durch Cyber-Attacken. Und selbst die KI hat einen geopolitischen Untergrund: Vor allem die USA und China liefern sich hier ein auch machtpolitisches Duell, bei dem Europa eher am Katzentisch sitzt.
War Geopolitik früher eher etwas für Spezialisten, ist sie heute für nahezu jedes Unternehmen wichtig. Man kann sich nicht immer auf alles im Detail vorbereiteten – aber völlige Überraschungen sollten durch ein angemessenes Risikomanagement vermieden werden. Daher ist man gut beraten, im Aufsichtsrat / Beirat und in der Unternehmensleitung eine ‚Sensorik‘ für diese Themen fest zu etablieren.
Diese Aspekte erfordern auch eine Veränderung in der Zusammenarbeit zwischen Vorstand/Geschäftsführung und Aufsichtsrat/Beirat. Für letztere bedeutet dies erheblich gesteigerte Anforderungen an die Qualifikation, an eine relevante Beitragsfähigkeit zu aktuellen Themen sowie insgesamt Professionalisierung und Diversifizierung. Eine weitere Veränderung betrifft die Art der Zusammenarbeit: Neben den fest terminierten drei bis vier Sitzungen pro Jahr kommt es zunehmend auch zum ad-hoc Austausch zu akuten Themen. Die Beiräte sollen dabei nicht nur die Geschäftsführung unterstützen oder kontrollieren, sie müssen die richtigen Fragen stellen, über ein großes Netzwerk verfügen und für Themen sensibilisieren, die die Geschäftsführung eventuell noch nicht auf dem Radar hat. Diese qualitativ und auch zeitlich höheren Anforderungen schlagen sich im Gegenzug zunehmend auch in der Vergütung nieder.
Das ist meist ein fließender Prozess, geht allerdings noch deutlich langsamer voran, als sich das Umfeld entwickelt. Gerade manches Familienunternehmen lernt erst schmerzhaft, dass es nicht mehr genügt, allein auf das eigene Netzwerk zu vertrauen. Etablierte und lange erfolgreiche Unternehmen werden durch ein externes Ereignis gezwungen, schlagartig umzudenken, etwa wenn durch eine Hacker-Attacke monatelang der Betrieb stillsteht, weil man an seine eigenen Daten nicht mehr herankommt. Ein Beirat oder Aufsichtsrat, der hier schon Erfahrung in Sachen Cybersecurity gesammelt hat, kann sehr viel beitragen.
Die regelbasierte Weltordnung befindet sich mindestens in einer grundlegenden Krise – wenn sie denn überhaupt wieder etabliert werden kann. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der hybride Krieg – aktuell mindestens gegen Moldawien, Serbien und die baltischen Staaten – sind dabei allein die europäische Dimension. — Darüber hinaus ist mit einer Eskalation der Situation zwischen Taiwan, China und USA zu rechnen – für mich keine Frage des ‚ob‘, sondern lediglich des ‚wann‘ und in welcher Tragweite. Aber auch direkt vor der ‚europäischen Haustür‘ bergen die zunehmende Instabilität auf dem afrikanischen Kontinent und nicht zuletzt der zunehmend eskalierende Nahostkonflikt nochmals ganz andere Bedrohungsszenarien. Ein absehbar dramatisch steigender Migrationsdruck mit in der Folge zunehmender Einschränkung der Freizügigkeit in Europa ist da nur ein Aspekt denkbarer Konsequenzen.
Über Kai Horten
Kai Horten berät Gesellschafter und Unternehmer bei strategischen Personalentscheidungen. Neben der Besetzung von Aufsichtsräten, Beiräten und Branchenexperten bei Board Xperts berät er im Team der Personalberatung XELLENTO Executive Search auch Industrie‑, Mittelstands- und Familienunternehmen sowie Private Equity-Firmen bei der Besetzung der ersten und zweiten Ebene.
Vor dem Wechsel in die Personalberatung war er 14 Jahre CEO und Geschäftsführer bei ESG Elektroniksystem- und Logistik GmbH, Premium AEROTEC sowie Atlas-Elektronik. Er hat das Studium der Luft- und Raumfahrttechnik als Diplom-Ingenieur (Univ.) an der Universität der Bundeswehr München abgeschlossen.
Board Xperts wird beim diesjährigen Family Office Forum in Wiesbaden Mitte September diskutieren, ob wirkungsvolle Beiräte und Aufsichtsräte nur Wunschdenken oder tatsächlich erreichbares Ziel sind.
Das Unternehmensprofil von Board Xperts finden Sie in der FYB 2024-Ausgabe S. 349.