Einfluss der Inflation auf Unternehmenstransaktionen
Aus der Volkswirtschaftslehre kennen wir alle, dass eine höhere Zinspolitik als Instrument zur Gegensteuerung für Inflation eingesetzt werden kann. In der Wirtschaftspresse ist häufig zu lesen, dass höhere Zinsen Unternehmenstransaktionen erschweren. Bei genauer Betrachtung ergibt sich jedoch ein differenziertes Bild. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen lag vor der Finanzmarktkrise 2008/2009 in den vorhergehenden 20 Jahren bei etwas über 6%. Und glauben Sie mir bitte – ich mache das auch schon über 20 Jahre: Auch damals gab es sehr, sehr sinnvolle M&A‑Transaktionen. Vor diesem Hintergrund ist das aktuelle Zinsniveau in einem längeren Betrachtungszeitraum immer noch günstig. Sicherlich hat das Zinsniveau über die Kapitalkosten Einfluss auf die Unternehmensbewertung.
Steigende Zinsen führen ceteris paribus zu niedrigeren Unternehmenswerten respektive –preisen. Meines Erachtens ist jedoch der Rückgang der Transaktionsanzahl weniger auf das steigende Zinsniveau zurückzuführen als auf eine deutlich gestiegene Unsicherheit auf Käuferseite. Diese Unsicherheit ist ausgelöst durch die Summe der Ereignisse der letzten drei Jahre. Zunächst mussten wir mit der COVID-Pandemie eine Situation überstehen, die kein Unternehmer in seinem unternehmerischen Leben zuvor erfahren hatte. Als diese Krise überwunden schien, wurde der Aufwärtstrend durch den Russland-Ukraine-Krieg jäh unterbrochen. Hier ist meines Erachtens kein Ende abzusehen und damit auch keine Prognose über Energie- und Rohstoffpreisentwicklung zu treffen. Vor ein paar Jahren gab es das Schlagwort VUCA[1]; in dieser Unsicherheit ist ein häufiger Reflex, „das Pulver trocken zu halten“, sprich vorhandene finanzielle Mittel nicht für Unternehmenstransaktionen auszugeben, sondern zur Finanzierung operativer Herausforderungen im Unternehmen zu belassen.
Ein weiterer Faktor, mit dem wir in der Vergangenheit keine allzu großen Probleme hatten, ist der technische Umgang mit Inflation in der Unternehmensbewertung. Die Grundlage für eine einkommensbasierte Unternehmensbewertung ist die Planungsrechnung eines Unternehmens. Diese Planungsrechnung auf nominaler Basis muss auch inflationsbedingte Preiseffekte in der Modellierung der Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanz berücksichtigen. Darüber hinaus stellt der sogenannte Terminal Value, d.h. der unendliche Fortführungswert im finanzmathematischen Bewertungskalkül ein wichtiger Einflussfaktor dar. Dieser Terminal Value wird unter Zuhilfenahme einer ewigen Wachstumsrate bestimmt. Die Einflussfaktoren auf diese Wachstumsrate sind Inflation, Wachstum und Thesaurierung. In der Vergangenheit wurden diese komplex zusammenhängenden Faktoren in der überwiegenden Anzahl der Fälle mit 1% Wachstumsrate abgebildet. Diese zuweilen eher typisierend angenommene Parameter ist nunmehr bei jeder Bewertung zu überdenken. Auch hier wird der Vorgang der Unternehmensbewertung eher komplexer. All diese oben genannten Faktoren führen zu einem weiteren Unsicherheitsfaktor bei der Bewertung von Unterhemen. Insgesamt steigt damit das unternehmerische Risiko und wie oben gesagt – viele Unternehmer zögern bei Akquisitionsentscheidungen.
[1] Akronym, das sich auf “volatility” (“Volatilität”), “uncertainty” (“Unsicherheit”), “complexity” (“Komplexität”) und “ambiguity” (“Mehrdeutigkeit”) bezieht.
Neben dem subjektiv empfundenen immer teurerer werdenden Einkauf am Wochenende, sieht man Inflation auch beim Blick in Aktien-Depots. Der DAX und andere Indizes erreichen Höchstwerte. Normalerweise sollte dies ein Zeichen für eine gute Konjunktur und sprudelnde Unternehmensgewinne sein. Dies ist aktuell jedoch nicht der Fall, sodass aus meiner Sicht schlussendlich diese Höchststände ein weiteres Zeichen für Inflation darstellen. Aktien, als Realwerte passen sich den Preissteigerungen an und insbesondere die börsennotierten Unternehmen mit Preissetzungsmacht sind natürlich auch in der Lage, Inflationseffekte sowohl auf der Ertrags- als auch auf der Aufwandsseite kompensieren zu können. Vor diesem Hintergrund sind die Höchststände am Aktienmarkt zum größten Teil ebenso durch Inflation begründet, wie mit sonstigen Faktoren.
Ich habe mir angewöhnt, neue Technologien nach ihrer dienenden Funktion zu beurteilen.
Das Thema Künstliche Intelligenz, das derzeit in allen Medien rauf und runter konjugiert wird, hat schon seit längerem Einzug in den M&A‑Alltag gefunden. Der Begriff Künstliche Intelligenz wird nach meinem Empfinden jedoch häufig zu oberflächlich verwendet und meint in vielen Fällen einfach nur geschickt formulierte Algorithmen, die bestimmte digitalisierungsfähige Prozesse schneller ablaufen lassen. – Dies hat noch nichts mit KI zu tun. Denn mit Verlaub: Es ist ja nun nicht so, dass wir bisher keine komplexen Datenbank-Abfragen, Szenario-Rechnungen, Monte-Carlo-Simulationen o.ä. machen würden. Das machen wir schon sehr, sehr lange. Natürlich kommen immer häufiger Applikationen zur Anwendung, die beispielsweise in Due Diligence Prozessen aus vorhandenen Dokumenten Tabellen extrahieren oder gar erstellen können, wie z.B. bei Mietvertragsübersichten, aber einen echten Einfluss auf das Zustandekommen von Unternehmenstranskationen kann ich im Moment noch nicht erkennen. Im technischen Transaction Support kann Digitalisierung – ob mit oder ohne KI – für Effizienz und robuste Prozesse sorgen.
Künstliche Intelligenz kann aber immer nur so gut sein, wie die Definition der Eingangsparameter ist. Viele Einflussfaktoren lassen sich jedoch nicht parametrisieren oder unterliegen weiterhin einer Intransparenz. Beispielsweise werde Unternehmenslenker ihre Unternehmensstrategien en détail nicht als Input-Parameter zur Verfügung stellen, um KI-Systeme „zu füttern“. In den letzten Jahren gab es viele Versuche, Matchmaking-Plattformen zu etablieren. Diese Plattformen sollten Käufer und Verkäufer zusammenbringen; bisher mit – lassen Sie es mich wohlwollend ausdrücken – mit mäßigem Erfolg. Seit Jahrzehnten gibt es in der M&A‑Branche Datenbanken, die Unternehmen anhand von Branchen-Codes klassifizieren. Nun erscheint es relativ simpel, diese Branchencodes übereinander zu legen und damit Unternehmen zu identifizieren, die strategisch füreinander relevant sein sollten. Gleicht man darüber hinaus finanzielle Verhältnisse nach dem Motto „wer kann sich wen leisten“ ab, so liegt nahe, dass solche Matchmaking-Plattformen einen Mehrwert darstellen sollten. In der Praxis gibt es jedoch eine Vielzahl weiterer Einflussfaktoren, die in solchen Datenbanken nicht erfasst sind. Dies kann z.B. die Geschwindigkeit der Branchen-Konsolidierung, der strategische Fit von Produktportfolien, Innovationen oder ähnliches sein. Kein Unternehmenslenker ist aktuell bereit, seine Unternehmensstrategie im Detail zu parametrisieren und damit die Grundlage zu schaffen, die Inputparameter für KI einwandfrei zu definieren. Von daher werden Überlegungen zum strategischen Fit weiterhin den Menschen vorbehalten bleiben. Vertrauen und Empathie „still matters“.
Über Arnd Allert
Nach zehn Jahren im Corporate Banking der Deutschen Bank und in leitender Funktion im Stahlhandel ab dem Jahr 2000 Geschäftsführer einer M&A‑Beratungsgesellschaft für Unternehmenstransaktionen. Seit 2003 Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Allert & Co. Mehrere Beirats- und Verwaltungsratsmandate. — Langjährige Tätigkeit als Referent an Hochschulen zu den Themen „Corporate Finance“, „Mergers and Acquisitions“ und „Verhandlungsstrategien“. CVA, Certified Valuation Analyst. Absolvent des PON Program on Negotiation der Harvard Law School.
Autor des Buches „Erfolgreich verhandeln bei M&A‑Transaktionen im Mittelstand“ und „Distressed M&A“. Co-Autor bei: „Modernes Sanierungsmanagement“ und „Unternehmensverkauf in der Krise“.