Woran fehlt es in der Finanzierung von Biotechs in Deutschland?
RITTERSHAUS Rechtsanwälte in Mannheim
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16. September 2020
1. Wie kommen Biotech-Unternehmen im aktuellen Umfeld an eine Finanzierung?
Biotech ist ein risikobehaftetes und kapitalintensives Segment. Angesichts beträchtlicher „burn rates“, die mit den umfangreichen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in der Biotech-Branche einhergehen, sind die Unternehmen auf stetigen Kapitalzufluss angewiesen. Dies gilt insbesondere für solche Unternehmen, die noch keine eigenen Produkte im Markt haben. Die Durchführung wiederkehrender, zunächst privater Finanzierungsrunden ist daher zwingend. Angesichts der bestehenden Unsicherheiten, ob sich bspw. Wirkstoffkandidaten im Verlauf ihres Entwicklungs- und Testzyklus überhaupt als geeignet erweisen, ist das eingesetzte Geld letztlich Risikokapital; dies ist möglicherweise selbst dann der Fall, wenn ein Unternehmen bereits längere Zeit operativ tätig ist, einen etablierten Namen und mehrere hundert Mitarbeiter hat.
In Deutschland beschränkt sich die Gruppe der namhaften Biotech-Investoren daher auf Institutionen oder vermögende Familien, die ein besonderes persönliches unternehmerisches, auch philanthropisch unterlegtes Interesse am Erfolg von Biotechnologie haben wie etwa Dietmar Hopp. Wesentlich häufiger erfolgen unserer Erfahrung nach Investitionen durch strategische Investoren und Finanzinvestoren aus Übersee, insbesondere aus dem nordamerikanischen Raum. Zunehmend steigt auch die Anzahl von Investoren aus dem mittleren Osten und China.
2. Wo liegen die Herausforderungen für Biotech-Unternehmen angesichts weniger Biotech-Investoren hierzulande? Warum sehen wir ausschließlich Börsengänge in den USA?
In Deutschland sind branchenbezogene Investoren und Investoren, die bereit sind, das mit der Biotechnologie typischer Weise verbundene Investitionsrisiko zu tragen, deutlich unterrepräsentiert. Im Ergebnis ist hierzulande daher leider ein im Vergleich zur Wirtschaftsleistung verschwindend geringes Engagement von Investoren im Bereich der Zukunftstechnologien, insbesondere bezogen auf Biotech, festzustellen. In den USA, wo die Bereitschaft zur Investition in risikobehaftete Branchen sicher ohnehin ausgeprägter ist, sieht man beispielsweise bedeutende Beteiligungen in Biotechnologie-Unternehmen durch Pensions-Fonds oder sog. Cross-Over-Investoren mit branchenspezifischem Hintergrund. Das gibt es in Deutschland so nicht. — Diese strukturellen Standortnachteile lassen sich bedauerlicher Weise wohl auch nicht kurzfristig spürbar ändern. Für Biotech-Unternehmen hierzulande dürfte die Kapitalbeschaffung daher auch weiterhin eine besondere Herausforderung bleiben. Da viele Biotech-Unternehmen früh international ausgerichtet sind, lässt sich dieser Standortnachteil bis zu einem gewissen Grad neutralisieren, wenn von Anfang an Verbindungen in die internationale Investoren-Community geknüpft werden.
Ein möglicher Zugang zum Kapitalmarkt ist natürlich der Börsengang eines Unternehmens. Allerdings haben wir in den letzten Jahren keine Biotech-Gesellschaften gesehen, die einen Börsengang in Deutschland gewagt hätten. Hierzu mag beitragen, dass vielen deutschen Banken die flankierende Branchen-Expertise fehlt: Um ein Biotech-Unternehmen mit allen upsides und downsides bewerten zu können, ist eine Analyseabteilung mit entsprechender Branchenkenntnis unerlässlich. Und die Analysten-Begleitung nach einem IPO ist für die Unternehmen ein ganz maßgeblicher Aspekt.
Gerade deutsche Banken haben Biotech-Werte gar nicht erst in ihr Beratungs- und Analyseportfolio aufgenommen oder aber vorhandene Kapazitäten abgebaut. Dies wirkt sich auch unmittelbar auf das Kapitalmarktumfeld aus: Der Börsengang eines Biotech-Unternehmens in Deutschland wird bereits dadurch erschwert, dass eine kompetente Begleitung durch inländische Konsortialbanken kaum stattfinden kann. Aus diesem Grund werden international renommierte Standorte von Technologiebörsen wie New York oder Hong Kong ins Auge gefasst, um Börsengänge zu realisieren. An diesen Börsenplätzen sind die Banken entsprechend aufgestellt und können den erfolgreichen IPO eines Biotech-Unternehmens nicht zuletzt über eine ausreichende Zahl internationaler Investoren durch ihre Netzwerke fördern. Unabhängig davon ist das deutsche Aktienrecht im internationalen Vergleich für börsennotierte Gesellschaften schwerfällig und bietet keine mit anderen ausländischen Gesellschaftsformen vergleichbare Flexibilität, etwa bei kurzfristigen Finanzierungserfordernissen, der Ausnutzung genehmigter Kapitalia oder dem Bezugsrechtsausschluss. Häufig wird daher eine holländische N.V. als Börsenvehikel verwendet, die als Muttergesellschaft der deutschen AG fungiert.
3. Wie könnte man die Umstände in Deutschland verbessern?
Es würde sicherlich helfen, wenn das deutsche Aktienrecht Gesellschaften eine größere Flexibilität im Hinblick auf Kapital-Beschaffungsmaßnahmen einräumen würde. Dies gilt insbesondere für die Möglichkeiten, kurzfristig auf Finanzierungsopportunitäten und –bedürfnisse reagieren zu können. Bislang gestaltet sich die Kapitalbeschaffung, selbst wenn bestehende genehmigte Kapitalia verwendet werden, deutlich langwieriger als dies beispielsweise bei der niederländischen N.V., dem Pendant zur deutschen AG, der Fall ist. Im Gegensatz zur deutschen AG ist die niederländische N.V. bei internationalen Investoren als geeignetes ausländisches Börsenvehikel anerkannt. Käme es in regulatorischer Hinsicht zu spürbaren Erleichterungen, könnte dies möglicher Weise auch auf Investorenseite zu einem Umdenken beitragen und Biotechnologie-Investitionen auch in Deutschland attraktiver werden lassen.
Dr. Christina Eschenfelder hat in Würzburg, Genf und Heidelberg studiert und ist seit 2012 Partnerin der Rittershaus Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB. Sie berät börsen- und nicht börsennotierte Unternehmen sowie deren Aufsichts- und Geschäftsführungsgremien vornehmlich im Aktien- und Gesellschaftsrecht sowie in Fragen der Corporate Governance. Christina Eschenfelder begleitet Investoren und Gesellschaften in Finanzierungsprozessen und berät national sowie international agierende Unternehmen bei Strukturierungen und Restrukturierungen sowie im Bereich Mergers & Acquisitions.
Dr. Moritz Weber hat in Heidelberg und Leuven studiert und ist seit 2016 Partner der Rittershaus Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB. Er berät im Rahmen inländischer und grenzüberschreitender Unternehmenstransaktionen sowie im allgemeinen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht in operativer und strategischer Hinsicht. Moritz Weber verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Beratung strategischer Investoren sowie Private Equity-Fonds bzw. Venture Capital-Investoren.
Dr. Moritz Weber hat in Heidelberg und Leuven studiert und ist seit 2016 Partner der Rittershaus Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB. Er berät im Rahmen inländischer und grenzüberschreitender Unternehmenstransaktionen sowie im allgemeinen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht in operativer und strategischer Hinsicht. Moritz Weber verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Beratung strategischer Investoren sowie Private Equity-Fonds bzw. Venture Capital-Investoren.