Regeln für einen nachhaltigen Finanzmarkt — eine Herausforderung für Unternehmen
Taylor Wessing in Frankfurt
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15. Juni 2021
1. Ist ein (EU) Sustainable-Finance Regelwerk wirklich notwendig? Und sind diese neuen, harten Anforderungen an Unternehmen denn realistisch?
Der europäische Gesetzgeber hat sich zum Ziel gesetzt, die Finanzströme in nachhaltiges Wachstum und nachhaltige Projekte zu lenken. Die Idee ist nicht neu. Schon seit Jahren gibt es Anbieter im Markt, die „grüne“ Finanzprodukte bewerben. Das reichte bis jetzt aber nicht und wurde eher als „nice to have“ gesehen. Zudem definierte bis jetzt jeder die Nachhaltigkeit seiner Produkte selbst. Es gibt bislang eine Reihe Standards, von den Vereinten Nationen mitgetragenen Prinzipien für verantwortliches Investieren (UN PRI) bis hin zu den Empfehlungen für nachhaltige Anlagestrategien des Fondsverbands BVI. Jetzt gibt es mit der Offenlegungsverordnung und der Taxonomie-Verordnung sehr konkrete regulatorische Vorgaben, die das Potential haben, wirklich etwas zu verändern, weil sie Konsistenz und Vergleichbarkeit gewährleisten wollen. Das neue Regelwerk ist vor diesem Hintergrund auch notwendig, denn Freiwilligkeit der Finanzindustrie reicht nicht aus.
Für den Finanzmarkt ist die neue Regulierung, die eher leise daherkam, ein Mammutprojekt. Gerade für kleinere Finanzdienstleister ist das ein Riesending! Die Aufsicht, sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene, wird hier nicht von heute auf morgen eine 100%ige Compliance erwarten. Dennoch muss der Gesetzgeber irgendwo anfangen, und das ist hier erst der Anfang. Da wird in den nächsten Jahren noch mehr konkrete Regulierung kommen.
2. Wie sieht der Aktionsplan aus? Was muss von den Vorgaben wirklich umgesetzt werden?
Die Offenlegungsverordnung gilt bereits seit 10. März 2021 und hat zum Ziel, den Investor besser als bisher über die nachhaltigen Anteile der angebotenen Finanzprodukte zu informieren. Auch müssen nun Finanzmarktteilnehmer und Anlageberater u.a. eine Nachhaltigkeitsstrategie auf ihrer Homepage veröffentlichen. Das setzt voraus, dass jeder Finanzmarktteilnehmer so eine Strategie entwickelt, die nicht nur aus schönen Worten besteht. Im Moment haben wir dann noch das Problem, dass es Daten zur Nachhaltigkeit der Finanzprodukte, die dem Investor eine informierte Entscheidung ermöglichen sollen, noch nicht vollumfänglich gibt. So bleibt der Branche im Moment nichts anderes übrig, als das umzusetzen, was schon geht und sich nach und nach die entsprechenden Daten einzukaufen und ihre internen Prozesse anzupassen.
Die Kehrseite ist, dass alle Unternehmen, die sich über den Finanzmarkt Kapital beschaffen wollen, nun auch Informationen und Finanzdaten zu Nachhaltigkeitsaspekten offenlegen müssen. Das gilt für PE-Fonds, über VC-Strukturen und andere alternative Finanzierungsmöglichkeiten genauso wie für die klassischen Debt-Instrumente oder die klassischen Aktien. Die neue Regulierung trifft also nicht nur den Finanzmarkt, sondern auch die Realwirtschaft. Und es geht bei ESG gerade nicht nur um Klima-Aspekte, sondern auch um Soziales und um Corporate Governance-Themen. Hier ist ein gesellschaftliches Umdenken gefragt.
3. Welche Auswirkungen hat das neue Regelwerk auf die Rendite? Wie steht es um private Investoren? Wie erkennt ein Investor, ob z. B. bei einem Fonds die Regulierung eingehalten wurde?
Rendite ist ein wichtiges Stichwort. Der Wandel hin zu einem nachhaltigen Finanzmarkt wird nicht erfolgreich sein, wenn die Finanzprodukte, die besonders grün sind, für die Anleger nicht auch rentabel sind. Das gilt sowohl für institutionelle als auch für private Anleger. Es gibt auf Investorenseite derzeit eine hohe Nachfrage nach nachhaltigen Produkten. Durch die klaren Vorgaben der Offenlegungsverordnung, die ab nächstem Jahr noch konkretisiert werden durch die dazugehörigen technischen Standards, die die ESMA im Februar 2021 bereits final veröffentlicht hat, kann der Investor in der Dokumentation des nachgefragten Finanzprodukts sehr gut erkennen, was drin ist.
Die regulatorisch nun geforderten Informationen ermöglichen dem Investor auch Vergleichsmöglichkeiten innerhalb einer Produktpalette, weil hier – auch durch die Taxonomie-Verordnung – ein Marktstandard entstehen wird, der ausweist, wie grün und nachhaltig ein Produkt ist. Natürlich werden weiterhin auch nicht nachhaltige Produkte angeboten, die selbstverständlich auch erworben werden dürfen.
Über Dr. Verena Ritter-Döring
Dr. Verena Ritter-Döring leitet den Bereich Bankaufsichts- und Investmentrecht bei Taylor Wessing in Frankfurt und ist seit vielen Jahren spezialisiert auf die Regulierung des Finanzmarktes und die entsprechende Abstimmung mit den Aufsichtsbehörden. Sie hilft Mandanten sowohl bei der Umsetzung neuer aufsichtsrechtlicher Vorgaben als auch bei Rechtsfragen der täglichen Compliance und dem Aufsetzen neuer Produkte oder Fonds. Die ESG-Regulierung ist derzeit ein Schwerpunktthema ihrer Beratung. Auf ihrem Blog aufsichtsrechtsnotizen-taylorwessing.de geben sie und ihr Team wöchentlich Updates zum Aufsichtsrecht.