Unternehmensbewertungen in Zeiten von Niedrigzinsen
Bereits seit längerer Zeit ist eine hohe Bedeutungszunahme hinsichtlich der Unternehmensbewertung in der Praxis zu verzeichnen. Diese Zunahme ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Bewertungsanlässe in der Vergangenheit deutlich zugenommen haben. Das betrifft sowohl freiwillige Unternehmensbewertungen für Zwecke potenzieller Übernahmen, aber auch verpflichtend durchzuführende Bewertungen wegen gesellschaftsrechtlicher Verpflichtungen oder aufgrund von Auseinandersetzungen im Familien- oder Erbrecht. Diese Entwicklung wird sich auch in Zukunft fortsetzen. In diesem Zusammenhang wird bspw. die anstehende Erbschaftsteuerreform dazu führen, dass wesentlich mehr Unternehmensbewertungen durchgeführt werden müssen, u.a. auch weil die bisherigen Verschonungsmöglichkeiten für Betriebsvermögen eine gravierende Anpassung erfahren werden. Wo in der Vergangenheit aufgrund der gesetzlichen Regelungen des ErbStG keine Bewertung des bestehenden Vermögens für Zwecke der Erbschaftsteuer nötig war, wird man in Zukunft in vielen Fällen an einer Unternehmensbewertung nicht mehr vorbeikommen.
Wir beobachten in unserer täglichen Praxis aber auch jetzt schon eine erhöhte Bereitschaft von Unternehmen und Unternehmern, die Vorteile einer Unternehmensbewertung bspw. für Zwecke der Absicherung eines Kaufpreises für sich zu nutzen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender Compliance- und Corporate Governance- Anforderungen.
Die Herausforderungen, denen man als Berater im Rahmen von Unternehmensbewertungen begegnet, sind je nach Bewertungsanlass oder Bewertungsobjekt sehr unterschiedlich. Regelmäßig wird der Berater aber vor der Aufgabe stehen, den Wert der künftigen (erwarteten) Zahlungsüberschüsse des Bewertungsobjekts zum Zeitpunkt des Bewertungsstichtags zu bestimmen. Mit dieser Aufgabe geht die Bestimmung einer Vielzahl von Parametern einher, die mit teilweise erheblichen Unsicherheiten behaftet sind. Dazu zählen bspw. die Auswirkungen der Rechtsform des Bewertungsobjekts, die Eignerstruktur, das Markt- und Wettbewerbsumfeld, der Einfluss steuerlicher Verhältnisse und weitere unternehmensspezifische Besonderheiten sowie rechtliche Veränderungen im Unternehmensumfeld.
Neben der korrekten Bestimmung der künftigen finanziellen Überschüsse, stellt die Ermittlung eines angemessenen Kapitalisierungszinssatzes regelmäßig eine schwierige Aufgabe dar. Hinsichtlich des Kapitalisierungszinssatzes führen schon geringe Änderungen in seiner Höhe zu einer großen Veränderung im Unternehmenswert. Bei der Bestimmung des Zinssatzes muss der Berater daher mit großer Sorgfalt sämtliche Einflussfaktoren im Blick haben.
Aktuell beschäftigt Unternehmen und ihre Berater zudem das langanhaltende Niedrigzinsniveau. Der für Zwecke der Unternehmensbewertung maßgebliche Basiszinssatz befindet sich bereits seit langer Zeit in einem historischen Tief. Das niedrige Zinsniveau sorgt häufig dafür, dass Unternehmenswerte und Beteiligungen in den Bilanzen der Unternehmen hoch bewertet werden, ohne dass erkennbares zusätzliches Ertragspotenzial generiert wurde.
Die aktuelle Niedrigzinsphase betrifft derzeit branchenübergreifend und unabhängig von der Unternehmensgröße fast alle Unternehmen. Für Unternehmen, die bspw. aufgrund eines bestehenden Geschäft- oder Firmenwerts einen jährlichen Werthaltigkeitstest nach IFRS durchführen müssen, führt der niedrige Zinssatz dazu, dass die Unternehmenswerte möglicherweise höher bewertet werden als sie es nach ihrer tatsächlichen Vermögens‑, Finanz- und Ertragslage eigentlich sind. Die Gefahr der Bildung einer sog. Goodwill-Blase ist groß.
Generell ist davon auszugehen, dass aufgrund des niedrigen Zinsniveaus eine Vielzahl von Unternehmen tendenziell überbewertet ist. Welche Konsequenzen sich im Einzelfall ergeben, wenn die Zinsen wieder steigen, kann derzeit noch nicht beurteilt werden. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Möglichkeiten der Einflussnahme auf den Zinssatz sehr begrenzt sind. Wann sich die Entwicklung zum Zinssatz wieder umkehren wird, ist zudem ungewiss. Für die Unternehmen ist es daher wichtig, dass sie die Auswirkungen des niedrigen Zinssatzes im Blick behalten und frühzeitig Maßnahmen einleiten, um potenziellen Risiken rechtzeitig entgegenwirken zu können.
Über Prof. Dr. Christian Zwirner
Prof. Dr. Christian Zwirner ist Geschäftsführer der Dr. Kleeberg & Partner GmbH WPG StBG in München. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Fragen der Unternehmensbewertung. Hierzu veröffentlicht er regelmäßig. Prof. Dr. Zwirner ist zudem Herausgeber des Handbuchs Unternehmensbewertung und bringt seine Fachkompetenz in verschiedenen fachlichen Gremien ein.
Über die Dr. Kleeberg & Partner GmbH
Kleeberg mit Sitz in München und Hamburg berät nationale und internationale Mandanten umfassend in steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Fragen sowie in allen Fragestellungen aus dem Bereich der Wirtschaftsprüfung. Unsere hochqualifizierten Mitarbeiter beherrschen das gesamte Beratungsspektrum in den Bereichen Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung, betriebswirtschaftliche Beratung, internationale Betreuung und Corporate Finance. Kleeberg ist zudem Mitglied von Crowe Horwath International und in seinem Geschäftsbereich Advisory u.a. auch auf Fragen der Unternehmensbewertung spezialisiert.